Ehepartner einer schwerkranken Ehefrau

Gedanken

Mein Name ist Willi Oesch. Aufgewachsen bin ich im Berner Oberland in gutbürgerlichen Verhältnissen auf dem Lande. Ich bin verheiratet mit Therese, Vater von 2 erwachsenen Kindern, wir leben in Basel. Als wir in der Mitte des Lebens standen, beide berufstätig, die Kinder aus dem Gröbsten raus, wir endlich etwas aufatmen konnten, ist Therese krank geworden.

Angefangen hat es mit kleinen Erschöpfungszuständen bei Aktivität, wie Skifahren oder Schwimmen, die zu Pausen zwangen. Atemlosigkeit bei kleinen Anstrengungen. Das war 2003. Zunächst bekam sie die Diagnose Asthma mit der entsprechenden Behandlung, ohne Erfolg. Bis Therese im richtigen Moment eine Sendung am Fernsehen gesehen hat, wo ein Bericht über Pulmonalen Hypertonie (PH) gezeigt wurde. Sie wusste sofort, das ist es!!… und das hat unser ganzes Leben schlagartig verändert. Schock, Hilflosigkeit.

Damals waren Asthma und Depression die häufigsten Fehldiagnosen bei der PH. Kaum jemand kannte die Krankheit, leider ist das heute noch so. Die neu diagnostizierten Patienten haben immer noch eine lange Odyssee hinter sich, bis sie richtig diagnostiziert werden. Und das ist wegen der schnellen Verschlechterung des Gesundheitszustandes fatal.

Die Diagnosestellung ist komplizierter, da neben der Anamnese und einem Herzultraschall auch eine Herzkatheteruntersuchung gemacht werden muss. Im Lungenkreislauf verengen sich die Blutgefässe, und das Herz muss gegen den erhöhten Widerstand pumpen. Neben zunehmender Gewebsveränderung im Lungengewebe, kann dies zur Überlastung des Herzens und zu einer Rechtsherzinsuffizienz führen. Unsere Ärzte haben zum Glück sofort gehandelt. Die Untersuchungen wurden eingeleitet, uns wurde sehr genau erklärt, was unmittelbar auf uns zukommt und uns erwartet. Auch im Internet habe ich gesehen, wie dramatisch die Situation ist. Therese hatte da schon die schwerwiegendste Form der PH, war in ihrem Alltag massiv eingeschränkt, einkaufen oder Haushalt führen war schier unmöglich. Es hiess ab sofort: Sauerstofftherapie, viele Medikamente, Job aufgeben, Geschäft auflösen, keine Anstrengung mehr, nicht in die Höhe, nicht laufen, schonen, sexuelle Aktivitäten einschränken, sich helfen lassen…..

Inzwischen hat sie 24 Stunden Sauerstoff über einen Konzentrator zu Hause oder ein tragbares Gerät unterwegs, eine Medikamentenpumpe mit Leitung in die Subclavia, einen Rollstuhl und ein Elektromobil. Ohne Sauerstoff bekommt sie beim reden blaue Lippen. Zum Glück hat Therese das Nasenvelo mit Sauerstoff, sonst sieht man ihr die Krankheit nicht an. Das führt bei vielen Menschen zu Unverständnis, gerade wenn es z.B. um einen IV-Parkplatz geht.

Anfänglich hatte ich das Gefühl, ich schaffe das – ohne Fachhilfe. Bis Therese 2004 einen Nervenzusammenbruch hatte und am liebsten gleich noch unsere Ehe hingeschmissen hätte. Wir verstanden uns nicht.

Wir hatten immer eine klassische Rollenverteilung in unserer Beziehung, ich Arbeit und Handwerkliches, sie Haushalt. Und nun musste Therese mir teilweise ihre Kompetenzbereiche abgeben, wie Kochen, Haushalt, alltägliche Verrichtungen… das hat bei ihr Verlustängste und Verunsicherung ausgelöst, und ich konnte es ihr auch nicht recht machen… Sie unzufrieden mit sich, ihrem Zustand und der Welt. Ich überfordert, mit Schuldgefühlen geplagt, musste für alles was nicht rund lief meinen Kopf herhalten.

Der Anfang zur Besserung waren dann einige Sitzungen bei einem Paartherapeuten, der auf «kranke Ehepartner» spezialisiert war. Für mich war das sehr gut, weil er mir nicht den «schwarzen Peter» zugeschoben hat und ich gemerkt hab, dass ich nicht alles falsch mache.

Ich habe mir dann weiterhin Fachhilfe geholt. Therese hatte immer Ärzte, die sie auch psychologisch gut begleitet haben. An den jährlichen PH-Treffen in Frankfurt gibt es Workshops für Angehörige, die von Psychologen begleitet werden. Das tut mir heute noch gut.

Anfänglich hatte ich auch das Gefühl, dass unser Leben sich von 100% auf 10% reduziert hat. Nur Verluste, Einschränkungen. Bis man sieht, dass in diesen 10% so viel Lebensqualität steckt…die blühen auf bis es wieder zum Ganzen wird. Man wird gezwungen als «Begleiter ein Doppelleben» zu führen, um nicht unter zu gehen. Sachen zu unternehmen, ohne den Partner, die einem gut tun, wo man wieder Kraft tanken kann. Sachen die wir früher gemeinsam gemacht haben und ich heute alleine, sind für sie natürlich mit Wehmut verbunden. Ich muss versuchen das Gleichgewicht zu halten zwischen unserem gemeinsamen, von der Krankheit dominiertem Leben und meinen eigenen Bedürfnissen.

Was passiert ist, dass wir nach 3-4 Jahren fast alle Freundschaften verloren haben. Dafür gibt es ganz neue Beziehungen und sehr gute. Wir sind einfach in einem anderen Leben.

Seit 2 Jahren bin ich pensioniert. Das hat für mich eine sehr grosse Erleichterung gegeben. Jetzt habe ich mal etwas Extrazeit für mich. Wenn Kollegen fragen, was machst du in deiner Freizeit, sage ich oft: Einfach nichts. Ich kann einfach mal sitzen und sein. Das finden andere langweilig. Auch sind meine Ängste verflogen. Wenn ich jeweils von der Arbeit kam,
wusste ich nie, was ich antreffe, wie es Therese geht. Jetzt bin ich meist 24h irgendwie in ihrer Nähe, was mir Ruhe gibt.

Ich frage mich heute, wie ich den Spagat zwischen Arbeit und Therese geschafft hab. Die komplette Ablenkung im Job hatte natürlich auch ihr Gutes. Manchmal habe ich mich mit den «Problemchen» von den anderen therapiert. Und ich habe von meinen Vorgesetzten die nötige Zeit bekommen, Therese bei ihren Arztterminen und Therapien begleiten und unterstützen zu können.

Ich bin nicht traurig, dass ich kein 0815-Leben führe und das so erleben darf. Ich möchte unser Schicksal auch nicht missen. Ich lerne an dieser Situation und es bringt mich weiter in meiner Offenheit und Erkenntnis. Kräftemässig bin ich nie bewusst ans Limit gekommen, natürlich hatte ich ein Frustverhalten – mit Essen. Ich habe zugenommen. Wir haben beide mit der Krankheit aufgehört zu rauchen. Das gab eine Doppelbelastung für meinen Körper. Bei mir wurde nun eine Schlafapnoe diagnostiziert. Seit ich mit der Maske schlafe, geht es mir wieder deutlich besser und ich nehme auch nicht mehr zu. Auch haben wir seither getrennte Schlafzimmer. Da muss keiner von uns Rücksicht nehmen, wenn er mitten in der Nacht mal wach ist…das ist eine grosse Erleichterung.

Therese hat als Folge der Krankheit und der Medikamente inzwischen einen Diabetes, eine Niereninsuffizienz, zwischendurch treten Herzrhythmusstörungen auf und eine Hirnblutung hatte sie 2014. Regelmässig treten starke Muskel- und Gelenkschmerzen auf. Ihren krankheitsbedingten Stimmungsschwankungen kann ich nicht gerecht werden. Innert Sekunden ändert sich die ganze Situation da ist manchmal ein Plan B gefragt (Ablenkungsmanöver). Da bist du als Partner so hilflos, machtlos. Heute kann ich fast schon professionell mit diesem Schmerz und dem Leid umgehen. Die Zeit hilft enorm. Und an Tagen wo ich hadere, therapiere ich mich selber, indem ich mir etwas kleines Gutes tue: Ein kleiner Spaziergang, etwas lesen, was ich schon lange mal wollte. Man muss sich einen gesunden Egoismus erarbeiten. Die Therapeuten haben mir Werkzeuge mitgegeben, die ich benützen kann. Mir kommt erleichternd entgegen, dass ich mich als recht positiven Menschen bezeichnen würde. Offen für Neues. Das Beste aus der Situation machen. Im Verein sehe ich viele, die es nötig hätten sich Hilfe zu holen.

Wir fahren einmal jährlich nach Frankfurt an das grosse PH-Treffen. Drei Tage Infoveranstaltungen, die neuesten medizinischen Daten, aktuelles von der Medikamentenentwicklung und viele Workshops mit Tips für den Alltag. Inzwischen kommen öfter Situationen vor, wo ich anderen relativ frisch betroffenen mit meiner Erfahrung helfen kann. Sie durchlaufen Phasen, die ich von mir oder uns gut kenne. Es gehen halt auch viele Beziehungen auseinander, weil der Partner die Situation nicht mehr aushält. Und wir kennen einige PH-Patienten, die sich das Leben genommen haben.

Therese baut sich auf mit ihrem Engagement in Bezug auf die PH. Sie hat 2007 die Selbsthilfegruppe Nordwestschweiz aufgebaut, und 2010 ist sie dann Präsidentin im neu gegründeten PH-Verein geworden.

Wenn ich mir vorstelle, ich hätte die PH und nicht sie: Ich wäre wohl viel unausgeglichener und schwieriger für meine Umgebung. Ich bewundere Sie, wie sie die Krankheit und die Rückschläge meistert. Sie ist vielen Betroffenen ein Vorbild, halt auch weil sie so eine schwere Form hat, und immer wieder Wege sucht und Engagement zeigt. Inzwischen ist ihr das Präsidium zu anstrengend geworden. Aber wir reisen zu Infoveranstaltungen, in Spitäler, machen Fundraising, was auch immer spannend sein kann…. Ich bin seit 2012 im Vorstand der PH-Vereinigung. Da ich sie ja sowieso fahren musste, habe ich angefangen mich ein zu bringen.

2016 habe ich dann das erste Angehörigentreffen der Schweiz organisiert. Das mach ich nun regelmässig. Da gibt es einen Vortrag von einem Psychologen und dann direkten Austausch mit Fragestellungen. Unser Ziel ist es, die Gesellschaft und die Ärzte für die Krankheit zu sensibilisieren.

Selbst wenn du verdrängst, vergisst, überspielst… Die Krankheit ist immer allgegenwärtig, unser Alltag davon bestimmt. Und irgendwo hängt das Damoklesschwert. Es gibt auch keine Konstanz im Verlauf. Wenn wir das Gefühl hatten, es gehe aufwärts, kam etwas Neues dazu. Meine Verlustängste sind heute nicht mehr so stechend schmerzvoll, wir haben uns halt so viel damit auseinander gesetzt…

Und wir haben grosse Unterstützung von unseren Kindern. Wenn ich ein paar Tage weg fahr, sind sie da. Jemand muss bei Therese sein. Ich habe es zwei Mal erlebt, als ich unterwegs war, dass sie notfallmässig ins Spital musste. Seitdem wir Grosseltern sind, ist sie ein anderer Mensch. Unser Enkel bringt viel Abwechslung in unserem Alltag. Wenn er bei uns ist, kann ich komplett loslassen, wie selten. Dann stimmt die Welt und ich kann Kraft tanken. Manchmal reichen 1-2 h, und man kann dann wieder mit neuer Kraft vorwärts schauen.

Erzählt von Willi Oesch, niedergeschrieben von Isabel Piali

[@uelle: Herzblatt EVHK / März 2017]
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