Evi Fritschi

Information zu meiner Person:

Evi Fritschi
PH-Diagnose 2000 erhalten
2001 Lungentransplantiert
08. 10. 2011 verstorben

«Als wärs ein Teil von mir»

Die Romanshornerin Evi Fritschi lebt seit einem Jahr mit einer fremden Lunge

«Mir geht es gut»:

Die Standardfloskel braucht die Romanshornerin Evi Fritschi selbst dann noch, als ihr die Ärzte vor zwei Jahren Pulmonale Hypertonie diagnostizieren. Damit wird ein Bluthochdruck im Lungen-Blutkreislauf umschrieben, der dann auch eine Überlastung des Herzens verursacht. Als ihr die Ärzte nur noch zwei Monate zu leben geben, will ihr die unverbindliche Floskel nicht mehr über die Lippen. Das Leben bekommt eine andere Bedeutung. Die Maske fällt ab. Mit starken Medikamenten wird versucht, die rechte Herzkammer zu stärken. Und als auch das nicht mehr nützt, steht plötzlich das Schreckgespenst einer Lungentransplantation im Raum.

Zu Weihnachten 2000 mag deshalb niemand in der Familie mehr lachen. «Ich hätte mit der Hiobsbotschaft besser zugewartet», erinnert sich Evi Fritschi.

Das grosse Warten

Die Familie wägt das Für und Wider einer Transplantation ab. Evi Fritschis grösste Sorge gilt den beiden Kindern. «Was ist, wenn ich nicht mehr zurückkomme?». Die Frage nimmt vorweg, dass sich die 52-Jährige bereits entschlossen hat. Werner – ihr Mann – soll sich um die Kinder kümmern und sich eine Freundin suchen, wenn sie nicht mehr ist, wünscht sie sich. Evi Fritschi entschliesst sich für den medizinischen Eingriff, hofft auf ein Leben mit einer Spenderlunge. Das grosse Warten beginnt. Acht Monate dauert der Countdown. Zeit genug, um Vorabklärungen am Universitätsspital Zürich zu treffen, das die Organverpflanzung später durchführt. Tests werden gemacht. Die Lunge wird untersucht. Es folgt eine psychosoziale Abklärung. Zeit genug, um sich über Lungentransplantationen zu informieren. Im November 1992 wurde die erste Lunge in Zürich verpflanzt. Zehn Jahre später sind es über 120. Evi Fritschis Hoffnung auf bessere Lebensqualität und eine verlängerte Lebenserwartung stehen die täglichen Erfahrungen während dieser acht Monate gegenüber. «Ich konnte nicht mehr Treppen steigen und nicht mehr zum Einkaufen gehen, weil ich kaum mehr Luft hatte.» Die Romanshornerin kann sich nicht mehr konzentrieren. Nur schon ein Buch zu halten, fällt ihr schwer. Ungenutzt bleiben die Stricknadeln im Körbchen liegen. Nadel und Faden für die farbenfrohen Patchworkdecken werden nicht mehr angerührt. Die geliebte Handarbeit bleibt liegen. Auch im Haushalt der vierköpfigen Familie steht es nicht mehr zum Besten, obwohl Ehemann Werner das Wäschewaschen übernimmt und abends überall dort tüchtig anpackt, wo die Haushalthilfe der Spitex nicht fertig geworden ist.

Horrorfahrt nach Zürich

Endlich, am 31. Juli 2001 um 18 Uhr, spricht der Pager der Uniklinik an. Der passende Spender ist gefunden. Das Warten hat ein Ende. Andere haben es nicht so gut. Und für einige kommt die Hilfe gar zu spät. Jetzt eilt es plötzlich. Siebeneinhalb Stunden später, am Nationalfeiertag, wird Evi Fritschi in der Universitätsklinik Zürich operiert. Romanshorn-Zürich mit Blaulicht und Sirene in 38 Minuten: «Ich bin schon fast im Krankenwagen gestorben», erinnert sie sich an die Horrorfahrt. Nach dem achtstündigen Eingriff verbessern sich die Lungenfunktionswerte wieder. Erstes Staunen: Die Atemnot ist verschwunden. Wieder genug Luft zum Atmen. Ende gut, alles gut? – Nicht ganz. Noch im Spital wird Evi Fritschi mit der Bedeutung und Anwendung der Medikamente vertraut gemacht, die sie nun bis zum Lebensende einnehmen muss. «27 Tabletten sind es jeden Tag, die zu genauen Uhrzeiten zu schlucken sind. Sie lernt, sich selber zu überwachen und Selbstmessungen der Lungenfunktion durchzuführen. In den ersten Monaten nach der Transplantation finden Lungenbiopsien statt, um eine Abstossungsreaktion oder einen Bakterienbefall auszuschliessen. Neun dieser dreitägigen Spital-Kurzaufenthalte hat Evi Fritschi inzwischen hinter sich. Alle mit gutem Befund. Die Romanshornerin hat die Chance, einen ähnlichen Lebensstil wie früher zu erlangen. Ihr starker Wille hilft ihr dabei. «Der wurde mir in die Wiege gelegt», sagt sie. Dieser Wille hilft ihr auch, mit den Nebenwirkungen der Medikamente umzugehen. Dazu gehören Osteoporose, der Schwund des festen Knochengewebes, eine Folge der Cortisoneinnahme seit der Operation oder das leichte Zittern durch die Medikamente, die eine Abstossung des Organs verhindern sollen. Auch die Furcht vor bakteriellen Keimen wird sie künftig begleiten. Ins Schwimmbad darf Evi Fritschi deshalb nicht, dafür ans Meer. Die Familie hat im Sommer Ferien in Griechenland gebucht – die ersten seit drei Jahren.

Das Fremde akzeptieren

Evi Fritschi ist stark. «Manchmal, wenn es mir nicht so gut geht, spreche ich mit dem Organ, das einem andern menschlichen Körper entnommen worden ist. Als ob wir dann zu zweit wären. Komm, das schaffen wir schon, sage ich etwa.» Ab und zu möchte sie gerne wissen, wem sie ihr zweites Leben verdankt. Die Romanshornerin hat das Fremde im eigenen Körper akzeptieren gelernt. Hinter dem medizinisch-technischen Fortschritt markiert die Operation auch eine Umbruchsituation. Die Grenzen zwischen Leben und Tod verwischen. Die persönliche Identität kann sich nicht mehr auf die Integrität des Körpers und die Einheit von Leib und Seele berufen. Doch damit hofft Evi Fritschi umgehen zu können. Sie hofft, dass es mehr Menschen in der Schweiz gibt, die zu einer Organspende bereit sind.

Copyright: Text / Juni 2002 / Evi Fritschi-Ehrat
Beitrag: St. Galler Tagblatt 17.06.2002 Christoph Zweili


 

Der Tod ist wie ein Horizont,
dieser ist nichts anderes als
die Grenze unserer Wahrnehmung.
Wenn wir um einen Menschen trauern,
freuen sich andere, ihn
hinter der Grenze wieder zu sehen.
 

 

Überall sind Spuren deines Lebens
Gedanken, Bilder, Augenblicke und Gefühle
sie werden uns immer an dich erinnern
 
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