«Ich wartete darauf, dass jemand stirbt»

Andy ist 15, als seine Lunge erkrankt. Weil die Medikamente nicht wirken, hilft nur eine Spenderlunge. Die kommt aus England.

«Die Krankheit ist von einem Tag auf den anderen ausgebrochen», sagt Andy.

«Am Anfang hatte ich Mühe mit dem Atmen, doch das hat mich nicht gross gestört. Die wirklich grossen Einschränkungen kamen erst später. Damals war ich 15.» Andys Stimme klingt sicher und unbeschwert, fast so, als würde er die Geschichte von jemand anderem erzählen. Doch es ist sein eigenes Leben, das sich vor rund zehn Jahren so drastisch veränderte.

Der heute 25-Jährige erkrankte damals an pulmonaler Hypertonie, zu Deutsch Lungenhochdruck. Eine Krankheit, bei der sich die Lungengefässe verhärten und die Lunge nicht mehr richtig mit Sauerstoff versorgt wird. Was mit Atembeschwerden anfängt, weitet sich sehr schnell auf den ganzen Körper aus. Ein regelrechter Schub von Symptomen bricht über den damals 15-Jährigen herein. «Ich konnte nicht eine Etage hinaufgehen, ohne zu verschnaufen», erinnert sich Andy, «zwei Monate später konnte ich nur noch schwer selbstständig atmen, geschweige denn zum Auto laufen.»

Andy (25) wurde mit 15 Jahren eine Lunge transplantiert.

Nur eine Spenderlunge kann sein Leben retten

Der Teenager, der seine Zeit bisher am liebsten mit Fussballspielen verbracht hatte und kurz vor Lehrbeginn steht, ist bald auf eine zusätzliche Sauerstoffzufuhr und den Rollstuhl angewiesen. Die verschiedenen Medikamente, die er einnimmt, schlagen nicht an. Bald steht für die Ärzte fest: Eine Lungentransplantation ist das Einzige, was das Leben des jungen Mannes retten kann.

«Für mich war klar, dass ich eine Spenderlunge annehmen würde, denn ich hatte keine andere Wahl», erzählt Andy. «Sobald du dich dann dafür entscheidest, werden im Spital alle möglichen Abklärungen und Checks gemacht, um eine passende Lunge zu finden. Dann kommst du auf die Transplantationswarteliste.» Normalerweise würden Patienten über ein Jahr auf ein passendes Organ warten. Andy hat jedoch Glück im Unglück: Durch die Schwere seiner Krankheit und sein junges Alter landet er auf der Liste relativ weit oben. Es dauert rund drei Monate, bis eine Spenderlunge gefunden wird.

«Ich wartete darauf, dass jemand starb»

Trotzdem sei das Warten zermürbend gewesen. «Es war alles so surreal. Ich musste 24 Stunden pro Tag auf Abruf zur Verfügung stehen. Und so wartete ich von Tag zu Tag und wusste nie, wann es so weit sein würde. Ich wachte morgens auf und fragte mich, lohnt sich das alles überhaupt? Warum tue ich mir das an? Denn letztendlich wartete ich nur darauf, dass jemand starb.» Von der anfänglichen Unbeschwertheit in Andys Stimme ist nicht mehr viel zu hören.

Als der Anruf über die vorhandene Spenderlunge kommt, verlieren Andy und die Ärzte keine Zeit. Mit der Ambulanz wird der junge Mann nach Zürich gebracht und kurz darauf die Narkose eingeleitet. Doch die Operation kommt nicht zustande. Andy erklärt: «Kurz vor der Operation kontrollieren die Ärzte stets, ob mit der Lunge auch wirklich alles in Ordnung ist und sie nicht etwa durch den Transport beschädigt wurde. Leider war die Lunge nicht mehr funktionstüchtig. Sie hätte zwar für einen älteren Menschen ausgereicht, aber einem Jugendlichen in meinem Alter hätte sie kaum mehr Lebensqualität gebracht.»

Andy wird also nicht operiert. Da sein Körper stark geschwächt ist, befürchten die Ärzte einen Herzstillstand, falls sie ihn wecken. Der junge Mann wird deshalb in ein künstliches Koma versetzt. Sein Fall kommt auf die «Urgent List», eine internationale Warteliste von höchster Priorität. Zwei Tage später wird schliesslich eine passende Lunge aus England eingeflogen, die erfolgreich transplantiert werden kann.

«Irgendwie lebe ich für zwei»

Wessen Lunge seit fast zehn Jahren Teil seines Körpers ist, weiss Andy nicht. «Da sie allerdings aus England stammt, habe ich einen grösseren Bezug zu diesem Land. Ich war seit der Transplantation bereits sechsmal dort.» Gesundheitlich geht es dem 25-jährigen Büroangestellten gut. Einschränkungen habe er nicht wirklich, «denn verglichen mit meinem vorherigen Zustand kann man nicht von Einschränkungen reden». Trotzdem müsse er ein Leben lang Immunsuppressiva nehmen, um sein Immunsystem davon abzuhalten, das fremde Organ abzustossen. «Mein Immunsystem ist dadurch sehr schwach. Wenn jemand im Zug neben mir hustet, kann ich davon ausgehen, am nächsten Tag krank zu werden.»

Heute geniesst er sein Leben in vollen Zügen und sagt: «irgendwie lebe ich jetzt für zwei.»

Dennoch oder gerade deswegen geniesst Andy sein Leben in vollen Zügen und möchte mit seinem neusten Projekt, einer Velo-Tour von St. Petersburg in die Schweiz, auf die Thematik der Organspende aufmerksam machen: «Es gibt immer mehr Menschen, die auf eine Spenderlunge angewiesen sind, und die Wartezeiten verlängern sich. Durch das Gesetz in der Schweiz, das die Bevölkerung nicht dazu verpflichtet, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, wird vielen Patienten auf der Warteliste ein normales Leben verunmöglicht.» Andy versteht, dass es Leute gibt, die sich gegen eine Organspende entscheiden, doch oft würde dies gar nicht richtig abgeklärt. Mit seiner Tour möchte er zeigen, was durch eine Spende alles möglich wird: «Ich geniesse nun alles, was ich tue, denn irgendwie lebe ich jetzt für zwei.»

 

Du möchtest eine Organspendekarte ausfüllen oder mehr zum Thema erfahren? Infos gibt es auf der Website «Leben ist Teilen».

[@uelle: www.20min.ch | von Albina Muhtari | Ich warte darauf dass jemand stirbt]

 

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