29. September 2000 / Informationsabend

INFORMATIONSABEND ÜBER ORGANSPENDE UND TRANSPLANTATION IN ANDEER

«Leben schenken kann jeder»

An die 200 interessierte Personen füllen kürzlich die Aula des Schulhauses Andeer bis zum letzten Platz, um an dem Informationsabend zum Thema «Ethik und Transplantationsmedizin» teilzunehmen. Eingeladen dazu und organisiert. hatte diesen Anlass das Kolloquium Schams-Avers-Rheinwald-Moesa.
Die beiden Worte «Leben» und Geschenk standen im Mittelpunkt des Abends. Sei das im eröffnenden Referat von Adrian Frutiger, Chefarzt der Intensivstation des Kantonsspitals in Chur, als auch in der darauf folgenden Diskussion. Das Referat drehte sich um die Praxis der Organtransplantation, wie sie derzeit angewandt wird.

Hirntod, Organspende und Transplantation

Dass einem lebenden Menschen keine Organe entnommen werden dürfen, ist klar: Doch dass tot – medizinisch gesehen – nicht gleich tot ist? Adrian Frutiger verstand es in seinem Referat vorzüglich, die kulturellen und nationalen Unterschiede in der medizinischen Definition von Tod, respektive Hirntod aufzuzeigen. Diese Definition von Tod wird unterdessen bei uns weitgehend akzeptiert, wohl auch dank der sehr detaillierten Hirntodkriterien. Weiter führte der Referent aus, wie wichtig, ja lebensrettend eine Organtransplantation sein kann, und anband von aktuellen Zahlen wurde deutlich, dass ein grosser Mangel an Organen besteht (in der Schweiz warten zum Beispiel etwa 400 Menschen auf eine Niere). Doch obwohl jeder Spender sogar mehrere Leben retten könnte, ist die Spenderfreudigkeit hierzulande viel zu gering. Diesen Vorurteilen versuchen Adrian Frutiger und andere Mediziner zu begegnen. Frutiger betonte mehrmals in seinem Referat, dass eine Spende ein Geschenk sei und daher zwingend freiwillig geschehen muss. Ausserdem würden die Angehörigen eines möglichen Spenders besonders betreut, damit sie einerseits nicht allein gelassen werden, andererseits auch. Vertrauen zu den Ärzten fassen können. Der Referent betonte weiter die Wichtigkeit eines landesweiten Gesetzes zur Organtransplantation. Doch die ethische Frage zu beantworten, ob es richtig oder falsch sei, Organe zu empfangen oder zu spenden, müsse dem Einzelnen überlassen bleiben. Anschliessend an diese Ausführungen standen der Referent zusammen mit Anna Regina Hofer (Theo-login/Ethikerin), Martin Schmid (Jurist) sowie zwei Betroffenen dem Publikum Red und Antwort. Besonders die persönlichen Schilderungen der Mutter eines Oiganspenders und eines Organempfängers waren beeindruckend und liessen wohl niemanden kalt. Er lebe täglich in grosser Dankbarkeit seinem ihm unbekannten Spender gegenüber, und diese Dankbarkeit über das Geschenk eines zweiten Lebens war dem an der Lunge Operierten wirklich ins Gesicht geschrieben. Einfühlsam moderiert wurde das Gespräch von Christian Joos von Radio Rumantsch. –

Bergsteiger sind Spitze

Sehr viel hänge davon ab, ob darüber geredet werde, in den Familien, zwischen Ehepartnern. Gemäss dem Experten seien Bergsteiger absolute Spitze, da sei häufig völlig klar, was im Falle eines Falles mit dem Verunfallten geschehen soll. Die Beschäftigung mit dem eigenen Tod ist sicher nicht einfach, doch werden durch solche Gespräche, dem Ausfüllen eines Spenderausweises oder einer Patientenverfügung den Angehörigen viele Steure aus dem Weg geräumt, wenn es darum geht zu entscheiden, ob Organe entnommen werden dürfen

Noch Fragen? O ja!

Trotz angeregter Diskussion blieben einige Fragen unbeantwortet, wie bei einem derart schwierigen Thema nicht anders zu erwarten war. Wie ist es möglich, im Zuteilen der Organe Gerechtigkeit walten zu lassen? Wie kann Missbrauch verhindert werden? Wie kann die Menschenwürde im einzelnen konsequent bewahrt werden? Kann man von «Organspende als Lebensgeschenk> sprechen, wenn menschliche Körper sozusagen ausgeschlachtet werden? Und wie steht es mit den Kosten? Manch einer ging wohl nachher mit mehr Fragen nach Hause als er sich zuvor stellte. Doch ist damit das Ziel dieses Informationsabends erreicht, denn schwierige Fragen wollen lange bedacht und vor allem gemeinsam beredet werden. Und dazu wurde jedermann ermutigt: sich ernsthaft und ehrlich zu fragen, ob er oder sie bereit ist, eigene Organe freizugeben, um im entgegengesetzten Falle dank anderer Spender ein zweites Leben geschenkt zu bekommen. Ob und wie das Transplantationsgesetz, das derzeit im Parlament ausgearbeitet wird, diesen heiklen Fragen Rechnung tragen wird, bleibt abzuwarten

Copyright: Text / Georg Felix, Pfarrer, Andeer
Pöschtli 5.Oktober 2000

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