Besondere Partnerschaft im Kampf gegen Lungenhochdruck

Man sah der tibetischen Delegation, die am Dienstagabend die Kerckhoff-Klinik besuchte, die Müdigkeit nicht an.

Zwei Tage waren die Gäste unterwegs gewesen, bis sie Bad Nauheim erreichten. Dort sprachen sie mit einem Patienten, der unter Lungenhochdruck leidet. Er wird mit einem Medikament behandelt, dessen Wirksamkeit beim Mount-Everest-Experiment der Forschungsteams von Prof. Friedrich Grimminger und Prof. Ardeschir Ghofrani im Jahr 2003 nachgewiesen wurde.
Anlass der Reise von Tibet nach Hessen war diese Stippvisite nicht. Es ging hauptsächlich um ein Abkommen zwischen den Universitäten Lhasa und Gießen, das gestern in Gießen unterzeichnet wurde. Beide Seiten setzen auf einen Synergieeffekt. Vorgesehen ist die Einrichtung einer permanenten Forschungsstation unter der Regie beider Hochschulen. Sie wird in 6000 Metern Höhe an der nördlichen – der tibetischen – Seite des Mount Everest angesiedelt sein. „Eine lang angelegte Kooperation“, unterstrich Grimminger. „Sie basiert auf den Untersuchungen, die wir seit 2003 machen.“ Damals lag das Forschungslager auf der südlichen, der nepalesischen Seite des Bergs. Durch die neue Kooperation mit Tibet wird es möglich, das Lager ganzjährig einzurichten. Logistisch ist das erheblich einfacher, als den aufwendigen Transport jedes Mal aufs Neue zu bewerkstelligen.
Bei den Höhenlager-Studien wird bei gesunden Probanden der Lungenhochdruck simuliert. In großer Höhe geschieht das automatisch. Die zwei Professoren haben es am eigenen Leib erfahren: „Man ist richtig krank, nicht belastbar. Man hat Kopfweh, Luftnot, atmet dreimal so schnell wie normal. Alles ist geschwollen.“ Ohne Behandlung hätten auch Bewohner von Höhenregionen wie beispielsweise Tibet eine reduzierte Lebenserwartung.

Studien an Bergsteigern

In den Studien an Bergsteigern auf 6000 Metern Höhe unterziehen sich diese Probanden im Lager Tests und Untersuchungen. Auf diese Weise entwickelten die Forscherteams bereits fünf Medikamente gegen den Lungenhochdruck. Das erste ist inzwischen das am meisten eingesetzte Mittel weltweit gegen diese Krankheit. Zuletzt hatten die Wissenschaftler erkannt: Das Krebsmittel „Imatinib“ hilft, wo Gefäße bei Lungenhochdruck bereits irreversibel zugewuchert sind.
Was allerdings noch nicht ausreichend untersucht ist, sind die natürlichen Mechanismen, die in jedem Bergsteiger ablaufen, wenn er Schritt für Schritt nach oben klettert: „Die zelluläre Anpassung an den Sauerstoffmangel.“ Diese körperlichen Vorgänge sollen nun weiter erforscht werden. Ziel ist, weitere Therapien zur Behandlung von Krankheiten zu entwickeln, die durch Sauerstoffmangel ausgelöst werden.
„Von den medizinischen Ergebnissen unserer besonderen Partnerschaft werden künftig die tibetischen Höhenbewohner ebenso wie die Patienten der Kerckhoff-Klinik profitieren“, unterstrich Grimminger. Delegationsleiter Wangla (Amt für Auswärtige Angelegenheiten, Regierung des Autonomen Gebietes Tibet) erwiderte: Die ganze Welt zolle den medizinischen Forschungsprojekten Aufmerksamkeit. Aus der Kooperation erhoffe sich die Universität in Lhasa wichtige Impulse.
Cui Chaoying (Dekanin Medizinische Hochschule, Universität Tibet) fügte hinzu, dass die westlichen Kollegen vielleicht auch etwas von der traditionellen tibetischen Medizin lernen und dies in ihre Projekte einbinden können.

[@uelle: Kreisanzeiger 01.03.2012 – BAD NAUHEIM / (ihm)]

 

Print Friendly, PDF & Email